Marlen Haushofer und Otto Jungmair - Ihre Wurzeln in Molln
Adolf Staufer, in OÖ. Kulturbericht 2005 - Themenheft "Literaturmuseen in Oberösterreich"

Literaturschaffen als Ausdruck der inneren Befindlichkeit wächst auf einer Grundlage, die stark auch durch die Eindrücke der Kindheit geprägt ist. Spürt man diesen Wurzeln nach, so wird dies erfahrbar, selbst wenn Grundthemen und äußere Form der Werke völlig unterschiedlich scheinen.

Marlen Haushofer
Marlen Haushofer
Maria Helene Frauendorfer und Bruder Rudolf
Maria Helene Frauendorfer und ihr Bruder Rudolf 1927

Das Museum im Dorf in Molln kann für diesen Sachverhalt mit Marlen Haushofer (1920-1970) und Otto Jungmair (1889-1974) ein recht eindrucksvolles Beispiel vorstellen.

Gemeinsam ist Marlen Haushofer (geb. Maria Helene Frauendorfer) und Otto Jungmair, dass sie in Molln geboren wurden und hier ihre Kindheit verbrachten. Ihre Väter standen im Forstdienst der Grafen Lamberg, die als frühere Feudalherren der Grundherrschaft Steyr allein in Molln einen Waldbesitz im Ausmaß von annähernd 140 km2 ihr Eigen nannten. Die Familien des Forstmeisters Jungmair und des Revierförsters Frauendorfer zählten zur angesehenen Oberschicht, die großen Wert darauf legte, ihren Kindern eine angemessene Bildung angedeihen zu lassen. So teilten Maria Helene und Otto auch das Schicksal, schon im Kindesalter das Elternhaus verlassen zu müssen, um in der Stadt eine weiterführende Schule zu besuchen. Für die zwar angesehenen, doch materiell durchaus nicht übermäßig gut gestellten Familien bedeutete die Ausbildung der Kinder ein großes Opfer. So weiß Univ.Prof. Dr. Rudolf Frauendorfer, der Bruder von Marlen Haushofer, zu erzählen, dass das gesamte Erwerbseinkommen des Vaters durch die Schulkosten aufgezehrt wurde. Der Familie blieb für den Lebensunterhalt nur der Ertrag der dem Forsthaus angeschlossenen Kleinlandwirtschaft, den die Mutter mit äußerster Sparsamkeit verwaltete. So kurz die in der Wärme der heimatlichen Umgebung verbrachte Kindheit auch ist, im dichterischen Werk hinterlässt sie ihre Spuren, auch wenn dies nicht immer so beabsichtigt sein mag.
Otto Jungmair
Otto Jungmair
Oberförsterfamilie Franz Jungmair
Die Familie des Forstmeisters Franz Jungmair (Sohn Otto vorne in der Mitte)
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Schon dem Kind Maria Helene Frauendorfer scheint es nicht immer leicht gefallen zu sein, seine Sehnsüchte und Vorlieben mit dem harten und nüchternen Leben der Holzknechte und Bauern in Einklang zu bringen, in das sie eingebettet war. Die erwachsene Frau Marlen Haushofer fühlte sich in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter in hohem Maße als Gefangene, auch wenn sie um ihre äußeren Lebensverhältnisse wohl von vielen beneidet wurde. "Eigentlich kann ich nur leben, wenn ich schreibe", vermerkt sie einmal in ihrem Tagebuch. Ihre bevorzugte Sprache ist die Prosa, der sie eine großartige Ausdrucksstärke gibt. In mehreren sehr erfolgreichen Kinderbüchern spiegelt sich die verklärte Erinnerung an ihre Kindheit mit ihrem harmonischen Familienleben. Die Heldinnen ihrer Romane zeigen viel von der inneren Zerrissenheit, in der sie sich selbst gefangen fühlt, und vom Leiden an einer Welt, die sie als von den Männern dominiert empfindet. Erst nach ihrem frühen Tode im Alter von nur 50 Jahren wurde sie als Autorin entdeckt, die das Gedankengut der Frauen-Emanzipationsbewegung mit großer Überzeugungskraft auszudrücken vermochte.

In ihrem wohl bedeutendsten Werk, dem Roman "Die Wand" entwirft sie ein Bild vom inneren und äußeren Leben einer Frau, die völlig auf sich allein gestellt aus der Umwelt heraus existieren muss. Was für den männlichen Helden Robinson Crusoe eine einsame

Jagdhaus "Lacken"
Jagdhaus "Lacken"
Vorlage für das Jagdhaus im Roman "Die Wand"

Forsthaus Effertsbach
Lamberg'sches Forsthaus Effertsbach
(Frauenstein, Gem. Molln)

Insel, ist für sie das Gebiet um eine Jagdhütte in den Bergen, in dem sie über Nacht durch eine unsichtbare Wand eingeschlossen wird. Die beschriebene Landschaft mit vielen Einzelheiten findet im Forstrevier des Vaters eine detailgetreue Vorlage. Während aber Robinson erst allmählich die Nutzung der Umwelt zur Sicherung des Lebensunterhaltes lernt, beweist Marlen Haushofers Heldin von der ersten Stunde an einen geradezu selbstverständlichen Umgang mit den lebensnotwendigen Dingen des Alltags in dieser Umgebung. Die Bestellung eines Ackers, der Umgang mit Haustieren und die professionelle Ausübung der Jagd spiegeln die Erfahrung des Lebens im Forsthaus Effertsbach. Die Beziehung zu den Erfahrungen der Kindheit zeigt sich aber auch in einer jagdlichen Besonderheit, die nur ein Eingeweihter zu deuten vermag. Von dem üblicherweise im Gebirge jagdbaren Wild kommen Gämsen in der "Wand" immer nur räudig vor. Nun zählte das Revier des Vaters vor dem ersten Weltkrieg zu den besten Gamsjagdrevieren der Monarchie. Wie sich Marlens Bruder Rudolf an Erzählungen seines Vaters erinnert, soll der von Jagdleidenschaft besessene

Erzherzog Franz Ferdinand bei einem einzigen Jagdaufenthalt in Molln an die zweihundert Gämsen erlegt haben. Als im Krieg der Großteil der Jäger und wohl auch der Wilderer einrücken musste, vermehrte sich die Gamspopulation so stark, dass eine Räudeepidemie ausbrach. Wie die ebenfalls im Museum im Dorf gezeigte Abschussstatistik der Forstverwaltung ausweist, wurde während der gesamten Zwischenkriegszeit in den weitläufigen Jagdrevieren von Molln kaum einmal mehr als ein Exemplar im Jahr erlegt. An dieser Übereinstimmung mit den in der "Wand" beschriebenen Verhältnissen ließe sich beinahe die Kinderzeit von Marlen Haushofer datieren.

  Anders als Marlen Haushofer bringt Otto Jungmair seine tiefe Beziehung zur Heimat seiner Kindheit in seinem Literaturschaffen offen zum Ausdruck. Jungmair - Molln um 1900 So auch in der ersten Strophe seiner Liebeserklärung an den Heimatort Molln, "Dahoam":

"Weit hat's mih in da Fremd umtriebm
va oan’ Oart zu den andern -
Doh 's Herz is in da Hoamat bliebm
Wo ih ah war ban Wandern."

Aus dem Skizzenbuch Otto Jungmairs:
Der Heimatort Molln um 1900

Obwohl er als Stifterforscher mehr als 40 bedeutende wissenschaftliche Abhandlungen verfasste, kommt seine Ausdruckstärke und sein Gefühl für Metrik am besten in seinem lyrischen Werk zum Ausdruck. Und da ist es neben seinen Gedichten in Hochsprache vor allem die Mundart, seine "Hoamatsprach", wie er sie liebevoll nennt, die schon äußerlich dieses Band knüpft!
Wer sich von Mundartdichtungen vorwiegend gereimte Witze oder heitere Alltagsgeschichten erwartet, ist bei Otto Jungmair allerdings nicht ganz an der richtigen Adresse. Zwei Weltkriege, sowie Not und Unterdrückung im Übermaß bescherte das Schicksal seiner Generation und verschonte auch ihn selbst nicht. Otto Jungmair begleitete seine Mitmenschen auf ihren steinigen Wegen und durch ihre Schicksalsschläge. Er wurde auch nicht müde, die Zeitumstände anzuprangern. Stets spürt man aber sein Bemühen, Mut zu machen und bei der Bewältigung der Lebensaufgaben zu helfen. Wer in der Lyrik nach Bleibendem sucht und dabei Otto Jungmair findet, wird schnell erkennen, dass es nur ganz wenige Zunftgenossen gibt, die ihn übertreffen. Eine Schwäche muss man ihm aber anrechnen: Er konnte sich nicht gut verkaufen!

Besonderen Reiz gewinnt die Ausstellung im Museum im Dorf auch dadurch, dass die kleine Welt, die sich in den Werken dieser Dichter spiegelt, in den übrigen Ausstellungsbereichen gegenwärtig ist. Bauern, Jäger, Holzknechte, Sensenschmiede, Maultrommelmacher, Schaufelhacker und Schuhmacher sind ihre "Helden", ihr Heimatort Molln ist der Schauplatz der Geschichte, die darin erzählt wird.

Adolf Staufer, in: OÖ. Kulturbericht 2005, Sondernummer "Literaturmuseen in Oberösterreich", Seite 8


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